Wie Trauma unseren Körper prägt und was Epigenetik und Neuroplastizität über Heilung verraten

Trauma hinterlässt nicht nur tiefe Spuren in unserer Psyche, sondern auch in unserem Körper. Insbesondere frühe traumatische Erfahrungen in der Kindheit prägen unser Gehirn und Nervensystem und können sogar genetische Anpassungen bewirken, um uns zu schützen. Diese Prägungen sind brillante Überlebensstrategien in Momenten akuter Gefahr, haben jedoch häufig langfristige Folgen. Die Konsequenzen zeigen sich später im Leben unter anderem als chronische Krankheiten, Abhängigkeiten, Depression, dauerhafte Anspannung oder andere Symptome.

Dieser Artikel beschreibt, was in unserem Körper und Gehirn passiert, wenn wir Trauma erleben, und beleuchtet zugleich neue Erkenntnisse aus der aktuellen Forschung zu Epigenetik und Neuroplastizität. Dabei geht es sowohl um die tiefgreifenden Auswirkungen von Trauma als auch um die Möglichkeiten von Heilung. Obwohl der Schwerpunkt auf physiologischen und neuronalen Prozessen liegt, lässt sich diese Perspektive nicht von der psychischen Ebene trennen, also davon, wie Trauma unser Selbstgefühl, unsere Emotionen und unsere Beziehungen prägt.

Was geschieht, wenn wir Trauma erleben

Wenn unser Körper Gefahr wahrnimmt, aktiviert das Nervensystem verschiedene Überlebensmechanismen, um uns zu schützen. Für kurzfristige Bedrohungen funktioniert dieses System hervorragend. Doch wenn die Bedrohung zu überwältigend ist, oder sich immer wieder wiederholt, wie bei Kindheitstrauma oder chronischem Stress, erreichen wir oft einen Punkt, an dem unsere inneren Ressourcen zur Selbstregulation und zum Schutz nicht mehr ausreichen.

Dies führt auf verschiedenen Ebenen zu Folgendem:

a) Im Gehirn:

Die Amygdala, das Alarmsystem unseres Gehirns, wird überaktiv. Sobald sie Gefahr wahrnimmt, signalisiert sie dem Hypothalamus, Stresshormone freizusetzen und das autonome Nervensystem zu aktivieren.

Gleichzeitig reduziert der präfrontale Cortex, jener Teil des Gehirns, der uns hilft, Emotionen zu regulieren und klar zu denken, seine Aktivität (Fisher, 2021). Dadurch kann unser Instinkt schneller reagieren als unser Verstand, eine überlebenswichtige Funktion in akuter Gefahr.

Auch der Hippocampus, der Teil unseres Gehirns, der Erinnerungen zu einer zusammenhängenden Geschichte formt, wird in seiner Arbeit gestört. Traumatische Erlebnisse werden dadurch nicht vollständig integriert, sondern in Fragmenten abgespeichert. Später können sich diese als plötzliche Bilder (Flashbacks), intensive Gefühle oder körperliche Empfindungen zeigen. Dabei fühlt es sich so an, als würden wir die Situation jetzt gerade erleben, obwohl sie eigentlich Teil der Vergangenheit ist (van der Kolk, 2014).

In Momenten großer Bedrohung übernimmt der Hirnstamm, unser sogenanntes „Reptiliengehirn“, die Kontrolle. Hier werden die automatischen Überlebensreaktionen wie Kampf, Flucht, Erstarrung oder Kollaps gesteuert. Weil dieser Teil des Gehirns keine zeitliche Unterscheidung kennt, reagiert er ausschließlich auf das, was als Bedrohung empfunden wird. Daher können spätere Trigger dieselben Reaktionen auslösen, wie in der ursprünglichen traumatischen Situation, so als würde die Gefahr im Hier und Jetzt stattfinden.

So gerät unser Gehirn in ein Ungleichgewicht zwischen Überaktivierung und Abschaltung (shutdown). Wir werden von inneren Alarmsignalen überflutet, während es uns gleichzeitig schwerfällt, das Erlebte zu verarbeiten. Unser gesamtes System bleibt auf Überleben eingestellt, und der Kontakt zu uns selbst, zu anderen und zur Umwelt geht verloren (Fisher, 2021).

b) Im Nervensystem:

Die Stressreaktion aktiviert den sympathischen Zweig unseres autonomen Nervensystems. Unser Herzschlag und unsere Atmung beschleunigen sich, unsere Muskeln spannen sich an, und der Körper wird mit Adrenalin geflutet, die klassische Kampf-oder-Flucht-Reaktion (fight or flight).

Wenn Flucht oder Widerstand jedoch nicht möglich sind, übernimmt der parasympathische Zweig unseres autonomen Nervensystems die Kontrolle und löst eine Erstarrungsreaktion aus. Unsere Herzfrequenz und Muskeltonus sinken, der Körper wird schwer oder taub, und unser Bewusstsein zieht sich teilweise zurück (Porges, 2022), ein Schutzmechanismus, der uns hilft, das Unerträgliche zu überstehen.

Mit der Zeit, wenn solche Reaktionen chronisch werden oder nicht abgeschlossen sind, kann das Nervensystem leicht dysreguliert werden. Wir schwanken dann zwischen Übererregung (Angst, Wachsamkeit, Reizbarkeit, Aggression …) und Untererregung (Taubheit, Erschöpfung, Isolation, innerer Rückzug …) und verlieren zunehmend die Fähigkeit zur Selbstregulation.

c) Psychologische und emotionale Folgen

Auf psychischer Ebene führt Trauma zu einem Gefühl der Fragmentierung oder inneren Zersplitterung. Da der präfrontale Cortex und der Hippocampus während der traumatischen Erfahrung heruntergefahren sind, werden unsere Erinnerungen nicht vollständig integriert. Das kann dazu führen, dass sich vergangene Erfahrungen immer wieder als gegenwärtig anfühlen, etwa in Form von Flashbacks, Körpererinnerungen oder plötzlichen Panik- und Angstzuständen ohne klaren Auslöser (van der Kolk, 2014).

Emotional erzeugt Trauma häufig Gefühle von Scham, Hilflosigkeit, Abspaltung und Einsamkeit. Wir verlieren das Gefühl, wirklich in uns selbst zuhause zu sein, und erleben gleichzeitig Schwierigkeiten, anderen zu vertrauen oder Nähe zuzulassen. Diese Empfindungen sind natürliche Folgen einer extremen Belastung, die Körper und Psyche versuchen zu bewältigen.

Epigenetik: Wie Trauma unseren Körper prägt

Wenn wir traumatische Erfahrungen gemacht haben, hat dies oft nicht nur Folgen für unser Gehirn, unser Nervensystem und unsere Psyche, sondern es kann sich auch tief auf unsere Körperprozesse auswirken. Die Epigenetik untersucht, wie Erfahrungen (einschließlich traumatischer Erlebnisse) beeinflussen können, welche Gene aktiv sind oder ausgeschaltet bleiben, ohne dass sich dabei die eigentliche DNA-Sequenz verändert (Cao-Lei et al., 2022).

Man kann sich epigenetische Vorgänge in etwa so vorstellen wie feine Schalter oder Regler, die Gene ein- oder ausschalten oder ihre Aktivität regulieren können.

Zu den wichtigsten epigenetischen Mechanismen gehören:

  • DNA-Methylierung: Hierbei heften sich winzige Moleküle an bestimmte Abschnitte der DNA und verringern so meist die Aktivität einzelner Gene.

  • Histon-Modifikation: Dabei verändern sich die Eiweißstrukturen, um die sich die DNA windet, was beeinflusst, wie leicht oder schwer das Erbgut ausgelesen werden kann.

  • Nicht-kodierende RNA-Regulation: Bestimmte RNA-Moleküle stellen selbst keine Proteine her, beeinflussen aber, ob Gene „angeschaltet“ oder „ausgeschaltet“ werden.

Diese epigenetischen Prozesse beeinflussen viele körperliche Abläufe. Traumatische Erfahrungen können langfristige Veränderungen hervorrufen, etwa in der Regulation von Stresshormonen oder in Hirnregionen, die für Lernen, Gedächtnis und Anpassungsfähigkeit zuständig sind (Cao-Lei et al., 2022; Thumfart et al., 2022). Dadurch kann es nach einer traumatischen Erfahrung schwieriger sein, Stress zu bewältigen, Gefühle zu verarbeiten oder flexibel auf neue Situationen zu reagieren.

Auch in der Weitergabe von Trauma über Generationen spielen epigenetische Veränderungen eine Rolle. Kinder von Menschen, die schweres Leid erlebt haben, zeigen häufig veränderte Stressmuster, geprägt durch Einflüsse während der Schwangerschaft sowie durch die körperliche und emotionale Verfassung der Eltern (Yehuda & Lehrner, 2018). Tierstudien bestätigen, dass elterlicher Stress und Fürsorgeverhalten die Entwicklung der Nachkommen über epigenetische Mechanismen nachhaltig beeinflussen können.

Zusammengefasst zeigt sich, dass Trauma die Funktionsweise unseres Körpers tiefgreifend verändern kann, besonders in den Systemen, die unser Überleben, unsere Stressreaktionen und unsere emotionale Regulation steuern. Zugleich macht das Wissen über Epigenetik deutlich, dass diese Prozesse veränderbar sind.


Heilung aus biologischer Sicht

Durch trauma-sensible Therapien, körperorientierte Ansätze und heilsame Beziehungserfahrungen können wir nach und nach innere Stabilität und Selbstregulation zurückgewinnen. Auf körperlicher Ebene zeigt sich Heilung durch die Neuroplastizität unseres Gehirns, also die Fähigkeit, neue Verbindungen zu bilden und bestehende neuronale Netzwerke zu verändern. Gleichzeitig können sich auch epigenetische Veränderungen wieder rückbilden oder neu ausrichten, etwa indem Gene, die mit chronischem Stress in Zusammenhang stehen, weniger stark aktiviert werden (Thumfart et al., 2022; Cao-Lei et al. 2022).

Heilung ist also möglich, weil unser Körper eine sehr starke Fähigkeit zur Anpassung und Regenerierung besitzt, bis in die kleinsten, molekularen Strukturen hinein.

Heilung durch Bewusstseinsveränderung und Integration

Trauma führt dazu, dass sich unsere Psyche in unterschiedliche innere Anteile spaltet (Ruppert, 2019). Diese Anteile tragen zum einen den Schmerz, die Angst und Hoffnungslosigkeit die ursprünglich nicht ausgedrückt werden konnten, und zum anderen unsere Überlebensstrategien.

Aus meiner persönlichen Erfahrung mit der Identitätsorientierten Psychotraumatherapie (IoPT) und auf Basis der bisherigen Forschung zur Aufstellungsarbeit zeigt sich, dass das bewusste Wahrnehmen, Ausdrücken und Verkörpern dieser inneren Anteile entscheidend ist, um traumatische Erfahrungen achtsam zu erkunden, zu verarbeiten und schließlich zu integrieren.

Darüber hinaus zeigen Studien zu anderen traumafokussierten Therapien, dass die emotionale Verarbeitung und Regulation die Aktivität und Vernetzung bestimmter Gehirnregionen, insbesondere des präfrontalen Cortex, verbessern (Manthey et al., 2021). Wenn wir unsere Erfahrungen in einem sicheren Rahmen bearbeiten, lernt das Gehirn, Stressreaktionen zu beruhigen und flexibler, klarer sowie lebendiger auf das Leben zu reagieren.

Heilung durch gesunde Beziehung und Körperbewusstsein

Heilung geschieht auch vor allem in gesunden Beziehung zu anderen Menschen. Wenn wir uns gesehen, angenommen und verstanden fühlen, signalisiert unser Gehirn Sicherheit. Dadurch stärkt der präfrontale Cortex seine Fähigkeit, die emotionalen Zentren zu regulieren. Überaktive Überlebensmechanismen können sich beruhigen, und in uns entsteht mehr Raum für Vertrauen, Offenheit und Verbindung (Manthey et al., 2021; Peckham, 2023).

Diese Veränderungen im Gehirn geschehen jedoch nicht losgelöst vom Körper. Wenn der präfrontale Cortex lernt, die Stressreaktion mehr zu regulieren, können wir mit Hilfe von somatischer Achtsamkeit, Übungen zur Erdung und sanften Bewegungen, die Anspannung im Nervensystem, sowie unterdrückte Impulse und Traumareaktionen allmählich lösen.

So entsteht ein Prozess, der sowohl die Regulation des Nervensystems als auch die Regenerierung auf zellulärer Ebene unterstützt. Studien zeigen, dass wirksame Traumatherapie sogar mit Veränderungen der DNA-Methylierung in stressbezogenen Genen verbunden sein kann, wie etwa im Glukokortikoidrezeptor NR3C, der eine Schlüsselrolle bei der Regulation des Stresssystems spielt (Wilker et al., 2023).


Energie, Frequenz und das Quantenfeld

Die Quantenphysik zeigt, dass jede Zelle, jeder Gedanke und jede Emotion in uns reine Energie ist, die auf einer bestimmten Frequenz schwingt. Aus dieser Perspektive lässt sich Trauma als Stagnation im System verstehen, wo unser natürlicher Energiefluss und unsere innere Kohärenz unterbrochen sind.

Wenn wir uns unseren inneren Dynamiken bewusst werden, langsam beginnen unterdrückte Gefühle und Körperempfindungen auszudrücken und zu integrieren, beginnt sich diese festgehaltene Energie wieder zu bewegen. Heilung ist daher ein Prozess in dem sich Energie neu ordnet und Körper, Psyche und Nervensystem allmählich zu ihrer natürlichen Verbundenheit zurückfinden.

Unser Körper erinnert sich

All die zuvor beschriebenen Ebenen (psychisch, körperlich, zwischenmenschlich und energetisch) sind untrennbar miteinander verbunden. Deshalb können wir Heilung nicht auf eine dieser Dimensionen reduzieren, sondern müssen sie ganzheitlich betrachten. 

Leider trennen viele der heutigen medizinischen und psychologischen Perspektiven noch immer Körper und Psyche und behandeln vor allem Symptome, statt die tieferen Ursachen zu erkennen. Dabei wird oft übersehen, wie stark traumatische Erfahrungen unsere Gesundheit, unsere Gene und unsere Beziehungsdynamiken über Generationen hinweg beeinflussen. Wir brauchen daher dringend mehr Forschung auf diesen Gebieten und vor allem die Anerkennung ganzheitlicher Heilungsansätze, die Trauma als einen zutiefst physiologischen und psychologischen Prozess verstehen.

Auch wenn Trauma tiefe Spuren in unserem Körper und unserer Psyche hinterlässt, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass unser System zu jeder Sekunde dynamisch und veränderbar ist. Unser Wesen ist dafür geschaffen, sich anzupassen, zu regenerieren und wieder neu zu erblühen. 🌻



✍🏻 Fragen zur Selbstreflexion

  1. Wie hat das Lesen über die Biologie von Trauma dein Verständnis für die Überlebensmechanismen und Verhaltensmuster deines Körpers verändert?

  2. In welchen Momenten bemerkst du, dass du dich innerlich zurückziehst, erstarrst oder in hohe Anspannung gerätst, und wovor versuchen dich diese Reaktionen zu schützen?

  3. Welche unausgesprochenen Wahrheiten oder Erfahrungen beeinflussen noch immer dein Familiensystem, und wie haben diese Erfahrungen dein Körpergefühl und Verständnis von Sicherheit und Verbundenheit geprägt?

  4. Was braucht dein Körper gerade am meisten (Bewegung, Ruhe, Berührung, Ausdruck, Atem, Nähe, mehr Zeit für dich selbst…)?

Wenn dich dieser Blogartikel bewegt, freue ich mich, von dir zu hören. Du bist herzlich eingeladen, deine Gedanken oder Erfahrungen in den Kommentaren zu teilen oder mir eine Nachricht zu schreiben, deine Reflexionen und Gedanken sind immer willkommen!

Und wenn du spürst, dass du deine eigene Heilungsreise vertiefen möchtest, dann melde dich sehr gerne. Ich begleite dich nach Wahl in der IoPT Traumatherapie, somatischer Therapie oder Gesprächen entweder online oder vor Ort in Oslo.

Danke, dass du hier bist. 💙
Julia

Literaturverzeichnis:

Cao-Lei, L., Saumier, D., Fortin, J., & Brunet, A. (2022). A narrative review of the epigenetics of post-traumatic stress disorder and post-traumatic stress disorder treatment. Frontiers in Psychiatry, 13, 857087.

Fisher, J. (2021). Transforming the living legacy of trauma: A workbook for survivors and therapists. New Harbinger Publications.

Manthey, A., Sierk, A., Brakemeier, E.-L., Walter, H., & Daniels, J. K. (2021). Does trauma-focused psychotherapy change the brain? A systematic review of neural correlates of therapeutic gains in PTSD. European Journal of Psychotraumatology, 12(1), 1929025.

Peckham, H. (2023). Introducing the Neuroplastic Narrative: a non-pathologizing biological foundation for trauma-informed and adverse childhood experience aware approaches. Frontiers in Psychiatry, 14, 1103718.

Porges, S. W. (2022). Polyvagal theory: A science of safety. Frontiers in Integrative Neuroscience, 16, 871227.

Ruppert, F. (2019). Who am I in a traumatised and traumatising society? Green Pharmacy Balloon Publishing.

Thumfart, K. M., Jawaid, A., Bright, K., Flachsmann, M., & Mansuy M. M., (2022). Epigenetics of childhood trauma: Long term sequelae and potential for treatment. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 132, 1049–1066.

van der Kolk, B. A. (2014). The body keeps the score: Brain, mind, and body in the healing of trauma. Viking.

Wilker, S., Vukojevic, V., Schneider, A., Pfeiffer, A., Inerle, S., Pauly, M., Elbert, T., Papassotiropoulos, A., de Quervain, D., & Kolassa, I.-T. (2023). Epigenetics of traumatic stress: The association of NR3C1 methylation and posttraumatic stress disorder symptom changes in response to narrative exposure therapy. Translational Psychiatry, 13(1), Article 14.

Yehuda, R., & Lehrner, A. (2018). Intergenerational transmission of trauma effects: Putative role of epigenetic mechanisms. World Psychiatry, 17(3), 243–257.

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