Resonanz in der Aufstellungsarbeit: Ein vielschichtiger Weg zur Heilung

In meiner Arbeit als IoPT-Traumatherapeutin und auf meinem eigenen Heilungsweg erlebe ich immer wieder, wie tiefgreifend und transformativ Aufstellungsarbeit sein kann. Aufstellungsarbeit im Rahmen der Identitätsorientierten Psychotraumatherapie (IoPT), bedeutet dass mit Hilfe der Anliegenmethode unbewusste psychische Strukturen sichtbar gemacht werden. Indem Klienten ein persönliches Anliegen formulieren, können innere Anteile (das gesunde Selbst, Überlebensanteile und Traumaanteile) von anderen gespiegelt werden.

Das Besondere daran ist, dass das Spiegeln von unseren inneren Anteilen nicht durch Rollenspiel oder Fantasie entsteht, sondern durch ein spontanes, intuitives Phänomen, das wir Resonanz nennen. Anders als Projektion, bei der jemand seine eigenen innere Zustände auf eine andere Person überträgt, oder Empathie, die sich eher auf ein kognitives oder emotionales Verstehen bezieht, bedeutet Resonanz in der IoPT, dass sich ein Mensch körperlich und emotional auf unbewusste Aspekte einer anderen Psyche einstimmt. Resonanz ist ein verkörperter Prozess, der sich oft nicht rational erklären lässt.

Resonanzgeber berichten häufig von Körperempfindungen wie Anspannung, Wärme oder Kälte, Taubheit oder Zittern; von plötzlichen Gefühlswellen wie Trauer, Angst, Wut oder Schmerz; oder von Veränderungen in Haltung, Wahrnehmung oder Energie. Diese Erfahrungen scheinen oft „aus dem Nichts“ zu kommen und machen dennoch tief verborgene, bisher unbewusste Aspekte der Psyche des Klienten sichtbar. Damit ermöglicht Resonanz eine Brücke zwischen Bewusstem und Unbewusstem. Sie erlaubt es, innere Realitäten und Dynamiken nicht nur sichtbar zu machen und zu verstehen, sondern direkt zu erleben, und dies im sicheren Rahmen einer therapeutischen Begleitung zu verkörpern und auszudrücken.

IoPT im Unterschied zu klassischen Ansätzen

Während viele klassische psychotherapeutische Methoden wie die Gesprächstherapie vor allem auf kognitives Verstehen und sprachliche Verarbeitung setzen, öffnet IoPT den Raum für eine zutiefst verkörperte und nichtsprachliche Erfahrung. Verborgene Traumaanteile können dabei an die Oberfläche treten und behutsam integriert werden. Resonanz ist deshalb für mich nicht nur eine Methode, sondern die Essenz jeder tiefen therapeutischen Transformation. Es entsteht eine bemerkenswerte innere Klarheit, wenn Anteile unserer Psyche resoniert werden und wir uns für unsere innere Wahrheit und unsere unbewussten Erfahrungen öffnen.

In diesem Artikel möchte ich das Phänomen der Resonanz aus einer multidisziplinären Perspektive beleuchten und mit aktueller Forschung zur Familienaufstellung (Family Constellation Therapy, FCT) verbinden, dem Fundament, aus dem die IoPT hervorgegangen ist. Mein Ziel ist es, eine fundierte, vertrauensvolle und inspirierende Ressource für alle zu bieten, die die tieferen Wirkmechanismen von IoPT, Aufstellungsarbeit und innerer Heilung verstehen möchten. Gleichzeitig möchte ich zur wissenschaftlichen und öffentlichen Anerkennung der IoPT beitragen, indem ich die Verbindung zu bestehenden Studien über Familienaufstellung (FCT) aufzeige und Resonanz als zentrales Wirkprinzip dieser therapeutischen Arbeit hervorhebe.

Was ist Resonanz?

Resonanz bezeichnet das Phänomen, wodurch ein System von den Schwingungen oder Frequenzen eines anderen beeinflusst wird. In der Physik ist es der Grund, warum eine Stimmgabel zu schwingen beginnt, wenn eine andere mit derselben Frequenz angeschlagen wird. In der therapeutischen Arbeit und insbesondere in Aufstellungen, erklärt Resonanz, wie ein Mensch sich ohne Worte oder Vorwissen auf die innere Realität eines anderen einstimmen kann.

In der IoPT ermöglicht Resonanz, dass unbewusste Trauma- und Überlebensanteile in präziser und oft erstaunlich stimmiger Weise an die Oberfläche treten. Resonanzgeber berichten von Gefühlen, Körperempfindungen oder Impulsen, die die inneren psychischen Zustände des Klienten widerspiegeln. So entsteht ein verkörpertes, externes Bild der Psyche und inneren Anteile, die auf diese Weise gesehen, gefühlt und integriert werden können.

Von Familienaufstellung zu IoPT

Die Familienaufstellung (Family Constellation Therapy, FCT) legt den Fokus auf generationenübergreifende Traumata und familiäre Dynamiken. IoPT, entwickelt von Prof. Dr. Franz Ruppert, richtet den Blick stärker nach innen: Sie beschäftigt sich mit der Fragmentierung unserer Identität durch Trauma und damit, wie gesunde, traumatisierte und Überlebensanteile miteinander in Beziehung stehen.

Vom Anliegen, das ein Klient in jeder Sitzung selbst wählt, wie zum Beispiel: „Ich möchte mich selbst lieben und annehmen“ – werden einzelne Worte oder Elemente resoniert. Diese spiegeln dann unmittelbar psychische Strukturen und Dynamiken des Klienten wider und machen so innere Konflikte, Überlebensstrategien und das darunterliegende Trauma sichtbar.

Was die Forschung zeigt: Von Familienaufstellungen  zu IoPT

Die empirische Forschung zu IoPT steckt noch in den Anfängen, während es zur Familienaufstellung (FCT) bereits eine wachsende Studienzahl gibt, die wertvolle Erkentnisse auf die Wirksamkeit von Resonanz- und Aufstellungsprozessen liefert:

  • Konkolÿ Thege et al. (2021): Eine systematische Übersichtsarbeit zeigte, dass Familienaufstellung psychische Belastungen reduziert, Ängste lindert und das Selbstbild sowie die Beziehungszufriedenheit verbessert. Resonanzgeber berichteten dabei regelmäßig von spontanen körperlichen oder emotionalen Empfindungen, die die innere Realität des Klienten widerspiegelten.

  • Konkolÿ Thege et al. (2022): Diese Studie untersuchte die Wirkmechanismen von Aufstellungsarbeit in einem natürlichen, nicht-klinischen Kontext. Resonanzgeber beschrieben körperliche und emotionale Erfahrungen, die das Unbewusste des Klienten widerspiegelten und zu neuem Bewusstsein und Transformation führten, nicht nur beim Klienten selbst, sondern auch bei den jeweiligen Resonanzgebern.

  • Cohen (2024) untersucht die Familienaufstellung (FCT) im Kontext eines nicht-lokalen Bewusstseins und entwickelt dabei einen theoretischen Rahmen, der phänomenologische Therapieerfahrungen mit Konzepten aus Quantenphysik und Evolutionsbiologie verbindet. Der Artikel zieht eine Parallele zwischen dem Resonanzfeld in therapeutischen Prozessen und Phänomenen der Quantenphysik: So wie Teilchen in einem System über Distanzen hinweg wechselseitig Einfluss aufeinander nehmen können, können auch emotionale und energetische Muster über Generationen hinweg in Resonanz treten.

    Besonders hervorgehoben wird dabei der Beobachter-Effekt (observer effect). In der Quantenphysik beschreibt er, dass allein der Akt des Beobachtens den Zustand eines Systems verändern kann, das Potenzial vieler Möglichkeiten „fällt“ in einen konkreten Zustand. Auf die Therapie übertragen bedeutet das: Wenn traumatische Erfahrungen in einem sicheren, mitfühlenden und achtsamen Rahmen bezeugt werden, kann sich ihre zuvor blockierte Energie umwandeln. Das, was im Inneren chaotisch, unbenannt oder fragmentiert war, findet durch Resonanz und Wahrnehmung eine neue Ordnung und Kohärenz.

Die Forschungsergebnisse zur Familienaufstellung (FCT) bieten eine solide Grundlage, um zu verstehen, wie Resonanz in aufstellungsbasierten Methoden wirkt. Da auch die Identitätsorientierte Psychotraumatherapie (IoPT) Resonanz als zentrales Wirkprinzip nutzt, und sich vor allem auf die Folgen von Trauma auf unsere Identität fokussiert, sind die empirischen Belege aus der Familienaufstellung sehr relevant und stützen die theoretischen Grundlagen der IoPT. Die folgende Forschungsarbeit, die sich explizit der IoPT widmet, liefert hierfür weitere Bestätigung und zeigt die Wirksamkeit dieser therapeutischen Methode.

  • Stjernswärd (2021): Diese Studie beschreibt IoPT als ein wirkungsvolles therapeutisches Verfahren, das das Phänomen der Resonanz nutzt, um tiefe psychische Heilungsprozesse und Selbsterkenntnisse zu ermöglichen. Teilnehmende berichteten von wesentlichen Veränderungen, wie mehr Selbstbewusstsein, mehr emotionale Klarheit und eine gestärkte Identität. Resonanz erlaubte es ihnen, körperliche und emotionale Aspekte der Psyche eines anderen Menschen mitzuerleben und dadurch tiefes Mitgefühl und Einsicht zu entwickeln. Klienten beschrieben, dass sie durch Resonanz unbewusste Traumaanteile spüren und verarbeiten konnten. Dies macht die therapeutische Effektivität der IoPT deutlich.

Obwohl IoPT eine andere Art der Aufstellungsarbeit ist als die Familienaufstellung, beruht sie auf den selben Mechanismen von Resonanz, verkörpertem Erleben und zwischenmenschlicher Ko-Regulation. Ein wesentlicher Unterschied liegt im Anliegen, einem kurzen, vom Klienten formulierten Satz, der den Fokus für den Aufstellungsprozess setzt. Aus diesem Satz werden einzelne Worte resoniert, die eine direkte neuronale Verbindung zur Psyche des Klienten haben. Dadurch werden innere psychische Anteile präzise und individuell sichtbar und geben tiefe Einblicke in traumageprägte Dynamiken und Ursachen in Bezug auf das gewählte Anliegen. Im Vergleich zur Familienaufstellung bietet IoPT den Vorteil, unbearbeitete Traumata auf mehreren Ebenen, nämlich persönlich, generationübergreifend und kollektiv, zu erkunden. Darüber hinaus rückt IoPT die innere Realität des Klienten ins Zentrum, und nicht die äußere Familienstruktur. Damit macht IoPT deutlich, wie Trauma unsere Identität fragmentiert und unser Verhalten, unsere Emotionen und Selbstwahrnehmung prägt.

Beide Methoden beinhalten somatische Elemente, doch IoPT legt den Fokus stärker auf das körperlich gefühlte Erleben, auf emotionale Resonanz und auf die Wahrnehmung von Körperempfindungen, die mit persönlichem Trauma verknüpft sind und weniger mit systemischen Dynamiken. Ein weiterer wesentlicher Aspekt: In IoPT hat der Klient die zentrale Autorität. Der Prozess beginnt und endet mit dem vom Klienten gewählten Anliegen, wodurch die Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung im Heilungsprozess gestärkt werden.

Warum das wichtig ist

Wir leben in einer Welt, in der Therapie noch immer stark kognitiv ausgerichtet ist, obwohl die wissenschaftlichen Belege wachsen, dass Trauma im Körper gespeichert wird und im impliziten Gedächtnis, oft jenseits von Sprache und Bewusstsein (van der Kolk, 2014). Viele Klienten, die IoPT nutzen, haben keine bewussten Erinnerungen an frühe oder entwicklungsbedingte Traumata. Das gilt insbesondere für präverbale oder sogar vorgeburtliche Erfahrungen, die sich nicht in Worten, sondern in Symptomen, Körperempfindungen, emotionalen Mustern und Verhalten zeigen und so als Überlebensstrategien oft unbemerkt unseren Alltag prägen.

Aus meiner Erfahrung ist IoPT eine hochentwickelte und tiefgreifende Methode, die uns zuverlässig Zugang zu diesen unbewussten Schichten eröffnet. Wenn Resonanzgeber mit ausgewählten Elementen des Anliegensatzes in Resonanz gehen, beginnen sie, diese tiefen, unbewussten Ebenen wahrzunehmen und auszudrücken. Der Prozess entfaltet sich nicht über Erzählungen, sondern über somatische Reaktionen, emotionale Präsenz und intuitives Spüren und Erleben.

Aus Sicht der somatischen Psychologie prägt Trauma unser Nervensystem und unseren Körper. Es führt zu chronischer Dysregulation, zu Erstarrung, Kampf-, Flucht- oder Anpassungsmustern und verzerrt unsere Selbstwahrnehmung ebenso wie unsere Fähigkeit, gesund in Beziehung mit uns Selbst und anderen zu treten. IoPT bietet einen Weg, diese Prägungen über verkörperte Wahrnehmung, zwischenmenschliche Resonanz und die Integration fragmentierter Anteile zu lösen. Heilung geschieht dabei nicht durch „Reparieren“ oder Erklären, sondern durch Fühlen, Integrieren und im Kontakt sein mit unseren inneren Anteilen.

Eine neue Ausrichtung psychotherapeutischer Arbeit

IoPT und Aufstellungsarbeit ermöglichen eine tiefgreifende Neuausrichtung gängiger psychologischer Modelle:

  • Vom Korrigieren zu Beobachtung: Es geht nicht darum, innere Anteile zu verändern oder zu korrigieren, sondern ihnen Raum zu geben, damit sie für uns sichtbar und fühlbar werden können.

  • Von Einsicht zu Integration: Der Schwerpunkt liegt nicht allein auf dem kognitiven Verstehen unserer traumatischen Erfahrungen, sondern darauf, die eigene Wahrheit körperlich zu spüren und wahrzunehmen.

  • Vom Verstehen zu gefühlter Resonanz: Heilung geschieht durch innere Resonanz, durch Präsenz und durch das Ausdrücken und Integrieren körperlicher Impulse, unterstützt von den Selbstregulationskräften des Körpers und der Psyche sowie durch die ko-regulierende Begleitung eines achtsamen IoPT-Therapeuten.

Die Bedeutung von Resonanz über die Therapie hinaus

Wenn wir diese Felder weiter erforschen, erscheint mir ein multidisziplinärer Forschungsansatz notwendig, welcher Neurobiologie, Quantenphysik, Biochemie, Traumaforschung, somatische Psychologie und Bewusstseins-forschung  miteinander verbindet. Resonanz ist nicht lediglich eine therapeutische Methode, sie könnte das grundlegende Prinzip sein, das Materie, Energie und ko-regulative Heilung verbindent. So wie Schallwellen in der Lage sind, Materie zu formen oder Harmonie zwischen weit entfernten Objekten zu schaffen, baut Resonanz im therapeutischen Feld unsichtbare Brücken zwischen unbewussten Anteilen und bewusster Wahrnehmung. Alles im Universum besteht aus Energie, Frequenz und Schwingung und Resonanz ist der Kanal, durch den diese Kräfte interagieren, kommunizieren und sich umwandeln können.

Im therapeutischen Kontext eröffnet Resonanz die Möglichkeit, das Unbeknannte sichtbar zu machen, das Unbewusste ins Bewusstsein zu bringen und lange Verborgenes zu heilen. Indem wir Resonanz über verschiedene Disziplinen hinweg erforschen, öffnen wir die Tür zu einem umfassenderen Verständnis von ganzheitlicher Heilung, als einen biologischen, neurologischen und energetischen Prozess.

💬 Teile deine Gedanken

Hast du selbst schon die Kraft der Resonanz auf deinem eigenen Heilungsweg erfahren? Oder bist du neugierig, wie Aufstellungsarbeit dir helfen könnte, tiefere Ebenen deiner Psyche und deines Unterwusstseins zu erforschen?

Hinterlasse gern einen Kommentar mit deinen Gedanken, Reflexionen oder Fragen. Ich freue mich, von deinen Erfahrungen mit Aufstellungsarbeit oder IoPT-Traumatherapie zu hören. Wenn dieser Beitrag mit dir resoniert, lade ich dich ein, dich zu melden, sei es für eine Zusammenarbeit oder Unterstützung auf deinem Heilungsweg.

Wenn du Interesse hast, IoPT-Therapie in einem 1:1-Rahmen oder in der Gruppe zu erleben, biete ich sowohl persönliche Sitzungen in Oslo als auch Online-Begleitungen für Menschen weltweit an. Mehr über meine Arbeit erfährst du hier.

Danke, dass du hier bist.

Julia

Fragen zur persönlichen Reflexion

  1. Gibt es Anteile in dir, die sich noch im Verborgenen halten oder die du bislang noch nicht ausgedrückt hast?

  2. Wie berührt dich der Gedanke, dass Heilung auch jenseits von Worten geschehen kann?

  3. Erinnerst du dich an Momente, in denen dein Körper etwas „wusste“, noch bevor dein Verstand es erfassen konnte?

Litteraturverzeichnis:

Cohen, D. (2024). Family constellation therapy: A nascent approach for working with non-local consciousness in a therapeutic container. Progress in Biophysics and Molecular Biology, 186, 33–38.

Konkolÿ Thege, B., Fodor, D., Földvári, M., & Kiss, I. (2021). Systemic Family Constellation: A Systematic Review of the Empirical Evidence. Journal of Family Psychotherapy, 32(4), 321–341.

Konkolÿ Thege, B., Petroll, C., Rivas, C., & Scholtens, S. (in press, 2022). The effectiveness of family constellation therapy in improving mental health: A systematic review. Family Process, 60:409-23.

Stjernswärd, S. (2021). Getting to know the inner self: Exploratory study of identity-oriented psychotrauma therapy—Experiences and value from multiple perspectives. Frontiers in Psychiatry, 12, 526399.

van der Kolk, B. A. (2014). The Body Keeps the Score: Brain, Mind, and Body in the Healing of Trauma. Pinguin Books.

Previous
Previous

Wenn Heilung sich wie Stillstand anfühlt

Next
Next

Nicht gewollt vor der Geburt? Wie frühes Trauma formt, wer wir werden